„Die vielen Aufgaben des Waldes erschweren eine Lösung, mit der alle Seiten zufrieden sind: Er muss ein artenreiches Ökosystem bilden, eine Quelle für Rohstoffe sein, für wirtschaftliche Profite sorgen, mit seinem Schatten der Dürre entgegnen, dabei über Verdunstung für ein feucht-kühles Klima sorgen und zugleich einen großen Teil von dem ausgleichen, was der Mensch an Emissionen verursacht.“1
Vechta ist weit davon entfernt, die waldigste Region Deutschlands zu sein. Mit 12% Waldfläche liegt der Landkreis unter dem deutschen und sogar unter dem niedersächsischen Schnitt.2
Und doch sind der Wald oder (in Anbetracht der Unwaldigkeit:) Bäume auf verschiedene Arten Thema während meiner Residency. Nicht nur, dass ich, um mit irgendwem zu sprechen und in die Stadt zu kommen, erst einmal den Wald/Golfplatz, in dem meine Wohnung liegt, verlassen muss. Ich muss mir gar nicht wirklich Mühe geben, viele reden einfach von sich aus über Bäume, wenn ich sie auf den Klimawandel anspreche. Ich hatte sowieso vor, über das Verhältnis der Vechtaer*innen zu den Bäumen zu schreiben und dann begegnete mir der Artikel zum Zustand des deutschen Waldes, den ich zu Beginn des Blogeintrages zitiere und ich dachte mir, welchen besseren Anlass gibt es?
Wenn über Bäume gesprochen wird gibt es die Ebene, die mir vor allen Dingen zu Beginn meiner Zeit in Vechta begegnet ist. An den Baumkronen lassen sich die Dürren der letzten Jahre ablesen.
Bei den älteren Bäumen ist es je nach Standort noch nicht unbedingt auf den ersten Blick ersichtlich. Viele von ihnen sehen erst einmal relativ gesund aus. Nur wenn man durch den Wald spaziert und den Blick nach oben gerichtet hält, bemerkt man, wie schlecht der Zustand des Baumbestandes, als Ganzes betrachtet, ist. Äste, die keine Blätter tragen und wahrscheinlich nie wieder neu austreiben werden, sind überall zu sehen.
Junge Bäume, die vereinzelt irgendwo herumstehen, sehen noch schlimmer aus. Wie sie sich wohl entwickeln werden? Ob sie sich noch erholen können? Ich weiß es nicht.
Abgesehen davon, dass sie als Indikatoren der Klimafolgen dienen können, werden sie aber auch im Zusammenhang mit dem Klimaschutz häufig erwähnt. Logisch, denkt man da. Bäume und Wälder sind CO2 Speicher. Wir brauchen mehr davon. Zum Klimaschutz wird aufgeforstet.
Jein. Natürlich ist auch das Thema. Auch hier gibt es Aktionen, bei denen Bäume gepflanzt werden. (Vielleicht ein Veranstaltungstipp für den 31.10.2022.)
Jedoch ist, wenn mit mir über Bäume und Klimaschutzmaßnahmen gesprochen wird, eher Thema, dass die Bäume in allen Fällen verlieren.
Wenn der Klimawandel nicht eingeschränkt werden kann, wird der Forstwald, wie wir ihn kennen mit flachwurzelnden Nadelbäumen sehr bald Geschichte sein. Kulturen mit Buchen oder anderen Laubbäumen können sich wohl etwas länger halten und der Mischwald ist am besten gegen Dürren und steigende Temperaturen gerüstet, aber auch sie werden früher oder später zugrunde gehen.
Das heißt nicht, dass es keinen Wald mehr geben wird, aber von den Bildern des Deutschen Waldes, der das deutsche Heimat- und Selbstverständnis geprägt hat, werden wir uns wohl verabschieden müssen. Neue Pflanzen- und Tierarten werden Einzug halten, alte sich weiter in den Norden zurückziehen oder vergehen.
Selbst die deutsche Eiche, auch wenn sie „langlebig, genügsam, stresstolerant und regenerationskräftig“3 ist und sich einigermaßen anpassen kann4, ist doch auch schon dabei durch den Klimawandel etwas von ihrem Glanz zu verlieren. In Norddeutschland hat sich der Eichenprozessionsspinner mittlerweile ziemlich verbreitet. Ein neues Problem, das die norddeutschen Eichen auch dem veränderten Klima zu verdanken haben.5
Darüber wird allerdings in Vechta wenig gesprochen. Invasive Arten werden nur im Allgemeinen erwähnt und das Wort „Eichenprozessionsspinner“ ist hier in meiner Gegenwart noch nicht gefallen, obwohl mittlerweile fast alle Eichenbestände im Landkreis mit Schildern, die vor den Nestern des Schmetterlings warnen, versehen sind.
Stattdessen werden Klimaschutz- oder Klimafolgenanpassungsmaßnahmen (ein wunderschön urdeutsches Wort) angesprochen, für die Bäume weichen müssen.
Ein Bach soll renaturiert oder ökologisch aufgewertet werden? Logischerweise müssen dafür erst einmal alle Bäume im näheren Umkreis entfernt werden.
Ich möchte das Potential zur Energiegewinnung meines Dachs nutzen? Dafür hole ich gleich die Kettensäge heraus. Erhobene Augenbrauen der Nachbar*innen? Fehlanzeige. Es geht doch um den Klimaschutz, regenerativen Strom.
Was heißt das jetzt? Vielleicht sollten wir, wenn uns doch allen bewusst zu sein scheint, dass die Bäume durch unser Handeln leiden, unsere Verantwortung ernst nehmen. Wälder müssen dabei unterstützt werden, gegen den menschengemachten Klimawandel gerüstet zu sein. Und im ganz Kleinen: nicht alle haben Gärten, aber für die, bei denen es möglich ist: warum nicht mal einen Baum pflanzen?
Klar, Bäume brauchen Zeit. Sie brauchen Jahre, um zu wachsen und all ihre positiven Effekte so richtig entfalten zu können. Aber wer möchte denn nicht das Klima und das Mikroklima verbessern und gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit steigern, von einem Eichhörnchen und Rotkehlchen besucht zu werden?