Vergangenes Jahr war ich Stadtschreiber in Rottweil – nun wird mein Nachfolger, der Schriftsteller Damiano Femfert, in Rottweil mit offiziellen Ehren empfangen. Wie es der Brauch verlangt, gibt der oder die Vorgänger*in ein kleines Statement zur Begrüßung ab. Da ich leider nicht anreisen konnte, habe ich Damiano Femfert ein Audio-Grußwort geschickt, das man hier nachlesen und -hören kann:
Lieber Damiano,
die herzlichsten Grüße aus dem Norden sende ich dir!
Ich melde mich aus der schönen Stadt Vechta in Niedersachsen, was einerseits ein ganz anderer Schnack ist als good old Rottweil und sein Umland: hier Klinkerstein und schnelle Pferde, dort Fachwerk und schwäbisch-alemannische Narretei; hier Moor und Geest, dort Wald und Wiesen; hier „Schweinegürtel“, dort Waffenproduktionshochburg … Andererseits, jedoch, gibt es etwas – mal abgesehen von dir & mir –, das die beiden Orte verbindet, und das ist ihr Hang zur absoluten Superlative! Vechta wählt so kräftig die CDU wie kein anderer Wahlkreis, und nirgends in Deutschland ist die Arbeitslosigkeit geringer, die Geburtenrate höher, und ebenso die Zahl an Mast- und Schlachtbetrieben – nirgends gibt es mehr davon auf derart engem Raum … Und Rottweil so? Immerhin: die „älteste Stadt Baden-Württembergs“ mit dem „weltweit zweithöchsten Testturm für Aufzugsanlagen“ und der darüber hinaus „höchsten Besucherplattform Deutschlands“.
Und an diesem exzentrischen Ort wirst du nun die nächsten Wochen und Monate verbringen, wie schön! In deiner Bewerbung hast du geschrieben, Rottweil sei „genau das, was ich in diesem Moment suche: einen Ort der Ruhe und Konzentration, bei dem man aber doch nicht ganz allein ist“. Und ja, damit triffst du es tatsächlich ganz gut. Du hast in Frankfurt gelebt, in Rom, Paris, New York – jetzt Rottweil. Das klingt, für mein Dafürhalten, doch insgesamt … sehr … folgerichtig.
Denn ich für meinen Teil kann nur sagen: Ich hatte die beste Zeit in Rottweil, die produktivsten Wochen und die witzigsten Mitbewohner*innen. Und genau die wünsche ich dir auch, von Herzen.
Dazu folgende Alltagstipps:
1.) Zu duschen empfiehlt sich morgens zwischen 10 und 11, denn da sind die kleinen Vögel alle ausgeflogen.
2.) Wenn du gerne an der Sonne bist, geh raus – denn in dein Zimmer, das im toten Winkel des Innenhofs liegt, scheint sie nur am frühen Morgen, für, ja, hm, so zwanzig, dreißig Minuten.
3.) Erkundungen ins Umland am besten per Velo, da gibt es viele schöne Wälder zu entdecken – die geheimsten Pilzsammelspots gebe ich dir gerne durch. Aber lass die Edelreizker stehen, die sind so feucht, dass du sie nur im Ofen trocknen kannst, und das stinkt bestialisch; da bekommst du zwangsläufig eins auf den Deckel von dem guten Geist im Haus, dem lieben Klaus.
4.) Zum Ausgleich vom Schreiben: mittags Basketball, abends Kellerbar im Konvikt. Dort lässt es sich gut Billard spielen, der Kicker allerdings taugt nix. Wenn du dich mit der anwesenden Pädagogenperson gut stellst, bekommst du das Schöfferhofer Granatapfel Mixgetränk für umme, sofern es abgelaufen ist. Geheimtipp! Top. Wobei die Stadt inzwischen – ohne Corona-Lockdown – sicher noch viel mehr zu bieten hat, aber da bin ich leider überfragt …
Ach so, und 5.) nicht verzagen, was den WLAN-Empfang angeht, da kann ich nur sagen: Kein Ort, nirgends.
Ja, leider kann ich heute nicht dabei sein, was ich wirklich sehr bedauere! Wir könnten gemeinsam in unseren burgunderroten Konviktspullis und Arm in Arm durch die Rottweiler Nacht spazieren, beim Yves auf dem Vorplatz der Kapellenkirche noch einen heben, oder hinten beim Pulverturm verträumte Blicke über die Mauer in das Neckartal werfen. Und irgendwann würdest du sagen: „Valentin, es tut mir Leid, aber …“
Und ich würde dich nicht aussprechen lassen. „Sag nichts“, würde ich ausrufen. „Ich weiß doch, die Einsamkeit, die Muse und die Ruhe – die Arbeit ruft!“
Am nächsten Morgen würde mich Jane Frank zum Zug bringen, nur leicht verkatert, und ich würde denken: Ei der Daus. Oder: Rottweil, du Perle am Neckar, sei gut zu meinem Nachfolger und werde deinem Ruf als Stadt der Superlative gerecht, sei die Stadt mit der besten Stadtschreiber*innenstelle der Welt. Mindestens! Du kannst das!
Und, Damiano, ich wünsche dir, dass du findest, was du suchst – und wenn du nichts suchst, dann umso besser. In Rottweil liegt das Glück ja eh auf den Straßen. Man stolpert drüber, ob man will oder nicht.
Und darauf:
Cheers!