Wir haben Lydia Lander, die Artist in Residence Vechta 2017 interviewt und freuen uns sehr über ihren Gastbeitrag. Sie hat in ihrer Residency-Zeit in der Stadt zum Motto „Alltag. Vechta – Vielfalt und Wandel“ Menschen und Situationen gezeichnet und dazu geschrieben.
Liebe Lydia,
Wenn du an deine Zeit in Vechta zurückdenkst, was fällt dir sofort dazu ein und wie würdest du deine „Landung“ dort beschreiben?
Es kommt darauf an, in welcher Situation ich an Vechta denke. Immer, wenn es irgendwo um Fake-News oder „Lug und Trug, Fug und Unfug in der Wissenschaft“ geht, denke ich als erstes an die gleichnamige Ringvorlesung von Prof. Wilfried Kürschner. Sie bildete den Auftakt meines Aufenthaltes: Am ersten Tag sah ich seinen Aushang im Flur der Uni und setzte mich mit freudiger Erwartung hinein. In guter Umgebung gelingt mir das Zeichnen meist gut, so war es – die erste gelungene Zeichnung, von konzentriert lauschenden Zuhörern.
Umso mehr habe ich mich später gefreut, dass Prof. Kürschner meine Vechta-Texte und -Bilder in einem umfangreichen Buch herausgegeben hat. Vechtaer*innen und Vechta-Freund*innen werden sich mit Humor und Augenzwinkern darin wiederfinden.
Das Buch meiner AiR-Zeit gibt es hier:
Universität+Stadt Vechta, Nulla dies sine linea. Menschen unterwegs: Bilder und Texte. Sonderband 6, hrsg. von Prof. Dr. Wilfried Kürschner, Prof. Dr. Joachim Kuropka (†), Prof. Dr. Hermann von Laer – Es ist auch als E-Book erhältlich.
Was hat dich in Vechta zum Lachen gebracht?
Ich antworte darauf mit einem Auszug aus meinem Buch: „Ein sehr düsteres Knurren hinter meinem Rücken. So im Zeichnen versunken, brauche ich eine Weile, um zu bemerken, dass ich gemeint bin, drehe mich um, da steht ein lustiger, kleiner Vierbeiner und fletscht energisch die Zähne. Sein Herrchen ist noch weit weg. Als ich den kleinen Knurrer nett anspreche: ‚Sag bloß, das ist dein Stein, auf dem ich hier sitze!‘, kommt er um mich herumgelaufen, inspiziert ihn schnüffelnd, ob er noch in Ordnung ist, und erlaubt mir schließlich, sitzen zu bleiben und weiter zu zeichnen.“ Hunde- und Steine-Motive tauchten dann auch immer wieder auf – als Symbole des Flüchtigen und Statischen.
Was würdest du deinem jüngeren „Artist-Ich“ rückblickend sagen, vor bzw. zu deiner Residency-Zeit?
Nichts, weil mich der Gedanke gruselt, denn die Frage bedeutet, es gäbe mich in dem Moment zweimal: Das Ich-jetzt gibt dem Ich-damals Tipps, etwa damit das Ich-damals alles „richtig“ macht. Das Ich-jetzt ist morgen auch schon ein Ich-gestern und es gäbe Tausende Ich-gesterns und -vorgesterns und alle älteren Ichs würden auf alle jüngeren Ichs einreden wollen. Das arme Ich-damals wäre, wenn Tausende Ich-späters ihm etwas mitteilen, ziemlich unter Beschuss, und der Zustand wohl nicht gesund. Ich würde das tunlichst unterlassen. Die Uni gab mir damals übrigens das Thema „Alltag – Vielfalt – Wandel“, verwandt mit meinem jahrelangen Motiv „Welt im Fluss“, wobei nach meiner Assoziation der Fluss, wie Zeit, ab(wärts) oder fort-läuft.
Warst du seitdem nochmal in Vechta?
Ja, sogar mehrmals: Im selben Jahr meines Aufenthaltes hat mich die Uni beauftragt, zu wissenschaftlichen Tagungen zu zeichnen. Siehe Bild:
Ein zweites Mal, als die Bilder im Rathaus ausgestellt wurden. 2018 zum 5-Jahres-Treffen aller Artists. 2019 zur Buchvorstellung mit Prof. Kürschner in der Vatterodt-Buchhandlung.
Wenn du jetzt in Vechta wärst – wo würdest du als erstes hingehen?
Entweder zur Zitadelle oder zum Warwick Rex.
Wie hat die Zeit in Vechta deinen weiteren Werdegang beeinflusst?
Vechta war der Grundstein/Initiator dafür, zum Zeichnen zu schreiben. Die Uni hatte mich dazu angeregt, meine Arbeit in einem Blog zu kommentieren, was schließlich in dem Buch von Prof. Kürschner gemündet ist. In Maler*innen-kreisen kursiert eigentlich der Satz „Maler*in male, rede nicht“, und man rümpft die Nase, wenn ein/e Maler*in dem Publikum erklären muss, was er/sie da malt.
Beim Schreiben wurde mir allerdings bewusst, dass man das Gesehene zeichnend anders betrachtet als schreibend, vielleicht vergleichbar mit den verschiedenen Sinnesorganen: Man bemerkt tastend andere Dinge als hörend, so sind zeichnendes Beobachten und schreibendes Beobachten quasi wie verschiedene Seh-und Denk-Organe. Noch merkwürdiger, wenn die beiden Denk-Organe nicht nur zu zweit die Umwelt beobachten, sondern das schreibende Denken zusätzlich noch das zeichnende Denken beobachtet und kommentiert. Das ist wie vielfach spiegeln oder ein Kaleidoskop. Die Artists in Vechta waren bisher auch überwiegend schreibend tätig, es scheint eine Schreib-Aura und -inspiration in der Vechta-Luft zu liegen. Nach meiner Vechta-Zeit schrieb ich noch weitere Blogs: 2019 als AiR am Bodensee, im selben Jahr Insel Hiddensee, 2020-2023 „corona“, 2023 Antwerpen, und ich werde es so schnell nicht lassen.
Was sind derzeit deine bevorzugten künstlerischen Ausdrucksweisen?
… den Alltag, Situationen und Leute beobachtend zu skizzieren und in Holzschnitt, Holzstich oder Malerei umzusetzen.
Liebe Lydia, wir danken dir für dieses Interview!
Alles Gute bei eurem Projekt und den tollen Ideen!
Viele Grüße, bis dann!
Lydia
* Zum 10-jährigen Jubiläum haben wir die bisherigen AiR’s zu einem Gastbeitrag im Blog eingeladen. Mehr zur Lydia Lander findet sich hier: https://www.lydia-lander.de