Die Berge verschwinden, die Hügel werden flacher – und irgendwann ist sie da: Die Grenze.
Es gibt keine Mauer, keinen Zaun, keine Zollkontrolle – schließlich ist es auch nur die Grenze von Niedersachsen. Trotzdem habe ich das Gefühl, etwas zu passieren, als ich am Schild vorbeifahre – und freue mich, dass mir das Land Niedersachsen – oder zumindest seine Marketing-Abteilung – zu meiner Entscheidung gratuliert. Vielen Dank. So fährt es sich gleich leichter.
Nach über 600 Kilometern, acht Stunden, drei Pausen und einem Kaffee habe ich die schneebedeckten Alpen gegen endlose Weite, Pferde und Backsteinhäuser eingetauscht. Die Sonne scheint durchs Autofenster, alles ist grün und friedlich. Und flach. Ich bin glücklich und gratuliere meinerseits Vechta zu der guten Idee, dem Stadtschreiber ein Fahrrad zur Verfügung zu stellen.
Über einen Monat tausche ich Berge gegen fast anstrengungsfreie Fahrradwege, den größten See Deutschlands durch die Nähe zum Meer. Die Vechtaer lachen jetzt vielleicht. Aber hey, eine Stunde! Zum Meer! Das ist nah. Zumindest für mich, die mit über 20 das erste Mal am deutschen Meer war.
Mein Gepäck ist ungewohnt schwer. Ansonsten komme ich als Autorin meist mit Papier und Stift aus. Dieses Mal muss ich drei Mal laufen, um meine Schreibutensilien ins Appartement zu bekommen.
Für mein Projekt in Vechta habe ich zwei Schreibmaschinen dabei. Mein <3-Stück seht ihr auf diesem Foto. Eine alte Continental-Schreibmaschine der Wanderer Werke.
Damit werde ich bis zum 08. März an den unterschiedlichsten Orten Vechtas sitzen und mit euch reden. Über Europa. Über eure Geschichte. Über euch.
Was genau…lasst euch überraschen.
Bei meinen Fragen an euch gibt es keine dummen Antworten. Kein „zu wenig Wissen“. Hauptsache unverfälscht. Hauptsache individuell. Und dafür muss man sich nicht anstrengen. Kommt von allein. Indem ihr spontan antwortet.
Das ist auch die Idee meines Projekts. Denn eure Gedanken, Ideen, Geschichten zu Europa bringe ich zu Papier. Sofort. Auf der Schreibmaschine. Ohne zu korrieren, nachträglich zu ändern oder etwas zu kürzen.
Ungewohnt zur heutigen Zeit, in der jeder Satz unzählige Male geändert werden kann, durch Copy and Paste an eine andere Stelle verschoben, der Zeilenabstand vergrößert wird, wenn die Zeit bis zur Abgabe doch schneller kam als gedacht. Rechtschreibfehler werden automatisch verbessert. Und wenn sich etwas verschiebt, druckt man es eben nochmals aus.
Mit der Schreibmaschine ist das anders. Jeder geschriebene Buchstabe steht da. Mit Eisen auf das Farbband geschlagen. Gedruckt. Schwarz auf weiß.
Dadurch gibt die Form auch den Inhalt, die Situation wieder. War ich zu schnell, steht da ein falscher Buchstabe. Habe ich zu leicht gehämmert, ist der Buchstabe nur schwach zu erkennen. Während des Tippen selektiere ich spontan und bringe alles in die äußere Form, die ich mir vorstelle.
Ein Exemplar dürft ihr mitnehmen, das andere bleibt bei mir, ich arbeite nämlich mit Durchschlag.
Im Spätsommer werden die entstandenen Werke in Vechta ausgestellt, zusammen mit thematisch passenden Fotos, die ich in der Zeit schieße. Und am Ende kommt alles in ein Buch des tollen Geest-Verlags.
Interesse?
Dann kommt ins Museum Vechta. Ihr findet mich am Dienstag, den 11.02. ab 8:00 Uhr im Museum (Zitadelle 15) bei einem Schreibworkshop mit angehenden ErzieherInnen – und anschließend von ca. 13 bis 16 Uhr Uhr ganz frei zur Verfügung für euch und eure Gedanken.
Ihr erkennt mich an dem lauten Hämmern und dem Pliiing, wenn die Zeile zu Ende ist.
Morgen berichte ich hier, wie ich zu meinen ersten zwei Gesprächspartnern kam und zeige euch, wie ein Gespräch mit mir und der Schreibmaschine auf dem Papier aussehen kann.
Zum Abschluss noch ein Zitat der lieben Agatha Christie:
„Seit Lucrezia Borgia bin ich die Frau, die am meisten Menschen umgebracht hat, allerdings mit der Schreibmaschine.“
Gute Nacht und vielleicht bis morgen!