Vechta. Kein Mensch aus meinem Umfeld kennt diesen Namen. Kein Mensch kennt die Stadt, die bald zu meinem Wohnort und literarischen Schauplatz wird. Niemand hat etwas vom Hotel „Am Kaponier“ gewusst, in dem die stellvertretende Bürgermeisterin gediegen frühstückt während kleine Kinder auf dem Boden hölzerne Eisenbahnstrecken bauen. Oder von den Menschen, die auf einem ehemaligen Flugplatz leben, den man nachts besser meiden sollte. Auch nichts von den Gefängniszellen mitten in der Stadt, deren Fenster auf die Grosse Strasse führen, die früher Adolf-Hitler-Strasse hiess. Was für ein Leben spielt sich nun auf dieser Strasse ab?
„Vechta, das klingt ja gar nicht nach Deutschland“, sagen sie stattdessen.
Wonach klingt es denn?
Das will ich selber herausfinden.
Als ich nach einer dreizehn-stündigen Zugfahrt in Vechta ankomme, ist auch mir diese Welt völlig unbekannt. Ich betrete sie mit einer umhängbaren grauen Decke, deren roter Schriftzug meine Herkunft verrät: Bern.
Und Vechta? Auch sie kommt mir rot-grau vor. Rote Backsteingebäude umgeben von einer grauen Strasse und Atmosphäre. Sie trägt ein Gewand aus Gefängnis- und Kirchenmauerstoff. Noch wage ich es nicht, ihn anzufassen. Aber spürbar ist er bereits jetzt.
Vechta ist eine Stadt voller Wörter, merke ich bald. Lauter leiser neuer Wörter. Schwarzraumstimmung, flüstert sie mir zu. Das Wort kannte ich nicht. Ich will sie einfangen, diese neuen Wörter, und zu einem Wortgewand zusammenfügen. Das ist mein Plan. Mitte April fange ich damit an.
Bis dann und herzliche Grüsse, Annalisa