was macht eine stadt schön?

P1110249P1110248P1110251

(…) Vechta ist nicht Münster, aber gerade das wenige, was Vechta städtebaulich und architektonisch schön macht, gilt es zu erhalten. Niemand würde auf die Idee kommen,z.B. die alte Propsteikirche abzureißen, auch dann nicht, wenn es keine Kirchgänger mehr gäbe. Man würde gegebenenfalls eine andere Nutzung akzeptieren, wie beim alten Kaponiergebäude, aber das Gebäude würde mit Sicherheit stehen bleiben. (…) Zeigt man heute jungen Leuten das Buch „Alt Vechta“, so können sie die schönen alten Bilder nicht mehr zuordnen. (…) Oft hört man Stimmen, dass Wirtschaftsförderung wichtiger ist als städtebauliche und stadtgestalterische Gesichtspunkte. Beide Aspekte können sich jedoch hervorragend ergänzen, wenn sie durch eine gute und qualitative Städtebauplanung gesteuert und begleitet werden. In der neuen Auffassung von Architektur wird ein Gebäude nicht mehr lediglich beschrieben, indem man sagt, das Gebäude habe das eine oder andere wesentliche Architekturmerkmal, sondern man versucht, Gebäude im Prozess fortschreitender Entwicklung zu zeigen. Auf der einen Seite steht der Wunsch, das Vertraute zu erhalten oder auch wieder entstehen zu lassen, auf der anderen Seite muss man jedoch den modernen Ansprüchen genügen.(…) Eine gerade Straßenführung der Bundesstraße mit exakter Einfluchtung neuer Gebäude wurde als Richtlinie in einem Bebauungsplan aufgenommen. Die geschlossene Raumwirkung am Alten Markt fiel dem Straßenverkehr zum Opfer. Die räumlich interessante Verengung des Straßenraumes mit dem wichtigen Vorsprung der gesamten Häuserzeile, angefangen von „Harms am Markt“ bis hin zum „Central Café“ wurde abgerissen.(…) In der Architektur und der Stadtgestaltung möchte man von Fachleuten (heute) keine Reglementierung. Man könne selbst entscheiden, was gut und was falsch ist. In der Bewertung von Architektur sprechen manche von „Eye Catchern“ und halten Anpassung für nichtzeitgemäß und eher antiquiert. Aktuelle Beispiele für Vechta sind sind die Fassadengestaltungen des Hauses Siemer vor der Propsteikirche oder des Hauses Kramer an der großen Straße. Eine gestalterische Schulung erfährt kaum noch jemand und man macht halt, was man will. Wer kennt noch die für Vechta typischen Gestaltungselemente und traditionellen Materialien? Im Baustoffhandel gibt es alles und alles wird bunt zusammengewürfelt. Proportionsregeln finden bei Neubauten kaum Anwendung. Das ungegliederte Nebeneinander von verschiedenen Bauformen und und Materialien ergibt optische Spannungen und Missverhältnisse. Erst die wenigen Neubauten im Bereich des Alten Marktes, die in den letzten Jahren entstanden, nehmen die für Vechta charakteristischen Fassadeneinteilungen und eine Betonung der senkrechten Gebäudelinien wieder auf. (…) Aus dem zeichnerischen Vergleich der Gebäudehöhen und des Blickwinkels am Alten Markt kann man gut erkennen, dass z.B. die Bankgebäude an der Westseite zu niedrig gebaut wurden und daher zum Raumabschluss keinen guten Beitrag leisten können. Eine noch weitere Öffnung des alten Marktes hin zum neuen Markt würde die Raumwirkung noch verschlechtern. Oberstes Ziel jeder guten Stadtplanung muss daher sein, nicht freie Plätze im Zentrum möglichst zu bebauen, sondern Plätze mit guter Umgebung zu schaffen. Eine reizvolle Abfolge verschieden großer und unterschiedlich gestalteter Plätze, wie der Alte Markt und der Neue Markt, der Platz am Kaponier, der Platz an der Propsteikirche und der Platz vor der Elmendorffsburg, wäre für die Zukunft wünschenswert. Nicht die Einzelgebäude dürfen isoliert in der Beurteilung stehen, sondern das Nebeneinander, das Ensemble an jedem Platz und an jeder Straße. Städtebau in Vechta muss wieder „Stadtbaukunst“ werden.

Georg Bocklage,Herbert Buddelmeyer